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The show must go on!

Julian Bauer

Spätestens seit Ende letzten Jahres sind in der Immobilienbrache u. a. zwei Dinge klar geworden:

  1. Die Party ist (vorerst) vorbei.
  2. Innovation und neue Technologien sind von „nice-to-have“, zu einem „must-have“ geworden.

Für uns als Startups im Proptechbereich erhöht das die Dynamik auf mehreren Ebenen:

Zum einen schlittern wir aus der Corona-Pandemie geradewegs in eine Zeit, die von multiplen Krisen geprägt ist. Diese haben aus mehreren Gründen deutlich spürbare Auswirkungen für den Immobilienbereich. Insbesondere junge Unternehmen stellt diese erneute Krisensituation vor große Herausforderungen, indem zum Beispiel Geschäftsmodelle zügig angepasst werden müssen oder Fundraising deutlich komplexer wird – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Gleichzeitig ist erneut der Spruch „Aus Krisen entstehen die besten Chancen“ überall zu lesen. Denn durch Krisen entstehen neue Probleme, die vorher noch nicht existierten. Der Annahme folgend, dass erfolgreiche Startups relevante Probleme identifizieren und diese lösen, gibt es aktuell wohl eine außergewöhnlich hohe Menge an Möglichkeiten, um aktiv zu werden.

Ein kurzer Exkurs: Wir alle haben den Wandel der Finanzbranche nach dem Crash im Jahr 2008 noch vor Augen. Nachdem die Finanzmärkte – gelinde gesagt – ins Straucheln kamen, erfuhr die Digitalisierung in diesem Bereich einen regelrechten Boom. Was war der Grund dafür? Allen wurde schmerzhaft klar, dass der Status-Quo offensichtlich in eine Sackgasse führte und es an der Zeit war, Alternativen zu entwickeln. Fintechs sprossen aus dem Boden, allesamt auf der Mission, etablierte Prozesse der Finanzbranche konsequent zu digitalisieren und, wie sich herausgestellt hat, in vielen Bereichen komplett zu verändern. Ein Beispiel: Etablierte Banken waren lange fest davon überzeugt, dass niemand jemals ein Girokonto im Internet eröffnen würde oder gar einen Kreditvertrag ohne persönliche Beratung in einer Filiale komplett online abschließen könnte. Heute beobachten wir, dass die Sparkassen viele Filialen schließen oder zu sog. “Stadtteilzentren” umnutzen. Überspitzt dargestellt soll dort kostenloser Kaffee aus Vollautomaten und nette Sitzgelegenheiten einen Anreiz schaffen, sich über Finanzdienstleistungen wie zum Beispiel Bausparverträge zu informieren. Gleichzeitig ermöglichen Finanzunternehmen, die nach 2008 gegründet wurden, Geldanlage und Kontoführung komplett digital.

Ähnlich wie die Finanzbranche damals hat die Immobilienbranche bis heute den Ruf, im Bereich Digitalisierung großen Nachholbedarf zu haben. Gespräche dazu beinhalteten in den letzten Jahren oft Sätze wie „eigentlich müssten wir Digitalisierung vorantreiben, aber dafür haben wir aktuell keine Zeit und nicht genügend Ressourcen …” – im Grunde nachvollziehbar, denn es lief in allen Bereichen gut und es gab keinen zwingenden Bedarf, Geschäftsprozesse durch Digitalisierung zu optimieren.

So auch im Bereich der Wohnbauentwicklung: In den letzten Jahren führten unter anderem steigende Urbanisierungs- und Zuwanderungstendenzen speziell in Ballungsräumen zu einer hohen Nachfrage nach Wohnraum. Dem gegenüber stand ein zu geringes Angebot, was in der Folge dazu führte, dass sowohl Miet- als auch Kaufpreise für Wohnraum konstant stiegen. Daraus resultiere eine zunehmende Neubautätigkeit. In diesem Zuge schossen sowohl Grundstücks- als auch Herstellungskosten in die Höhe. Dennoch war bis etwa Mitte 2022 die Dynamik an den Märkten sehr hoch, da ein historisch niedriges Zinsniveau Investitionen weiterhin ermöglicht hat. Vereinfacht gesprochen: Obwohl die Kosten stiegen, brummte das Grundstücks- und Entwicklungsgeschäft.

Im vergangenen Jahr hat sich der Markt nun grundlegend geändert. Das Zinsniveau ist um rund das Vierfache gestiegen, wohingegen kostenseitig bisher kaum spürbare Anpassungen stattgefunden haben. Immerhin steigen die Herstellungskosten im Bau sowie die Angebotspreise von Immobilien nicht weiter – eine spürbare Korrektur nach unten blieb allerdings bisher aus. Die Konsequenz ist, dass sich bisherige Marktlogiken grundlegend verändern. Beispielsweise überstieg bis Mitte letzten Jahres die Nachfrage nach bebauten und unbebauten Grundstücken, die sich zur Nachverdichtung oder für den Neubau eignen, das Angebot deutlich. Die Verkäufer:innenseite war bisher in der komfortablen Situation, dass es für nahezu jedes Objekt eine große Anzahl Interessent: innen gab und sich hohe Verkaufserlöse erzielen ließen. Aktuell jedoch hat sich diese Situation geändert. Potenzielle Käufer: innen von Immobilien können aufgrund gestiegener Kapitalkosten weit geringere Einstände zahlen, um künftig wirtschaftliche Projekte anzuschieben. Das Resultat: nahezu eine Vollbremsung am Transaktionsmarkt.

Gleichzeitig besteht nach wie vor ein sehr hoher Bedarf nach Wohnraum. Die 2021 im Koalitionsvertrag gesetzte Zielzahl von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr wird sich schätzungsweise in 2023 nur schwer realisieren lassen. Hinzu kommt, dass zum Erreichen der Klimaschutzziele die Flächenversiegelung bis 2030 auf unter 30 ha reduziert werden soll. Laut des Klimaschutzplans der Bundesregierung 2016 ist das Flächenverbrauchsziel bis 2050 sogar Netto-Null.

Insbesondere junge Unternehmen stellt diese erneute Krisensituation vor große Herausforderungen, indem zum Beispiel Geschäftsmodelle zügig angepasst werden müssen oder Fundraising deutlich komplexer wird.

Insbesondere junge Unternehmen stellt diese erneute Krisensituation vor große Herausforderungen, indem zum Beispiel Geschäftsmodelle zügig angepasst werden müssen oder Fundraising deutlich komplexer wird.

Die Komplexität der Situation liegt auf der Hand: Um Wohnungskrise und Klimawandel nicht weiter zu befeuern, ist es notwendig, mehr Volumen auf weniger Fläche zu bauen. Gleichzeitig sind diejenigen, die üblicherweise das Entwickeln und Bauen von Wohnraum übernehmen, aufgrund der Marktsituation eingeschränkter handlungsfähig als vor der Krise.

Was bedeutet das nun für die Branche? Es herrscht Katerstimmung – ganz klar. Gleichzeitig ist vielen etablierten Immobilienunternehmen aber sehr schnell klar geworden, dass es jetzt an der Zeit ist, sich mit Technologie und Innovation ernsthaft auseinanderzusetzen. Es kann also gut sein, dass getreu dem Sprichwort von oben, “Aus Krisen entstehen Chancen” viele Möglichkeiten speziell für Proptechs entstehen und im übertragenen Sinn die nächste Party gerade jetzt beginnt.

Viele Grüße aus Hamburg und ein erfolgreiches 2023 für uns alle!

Über den Autor

Julian Bauer

Founder & CEO Modoplus

Julian ist einer der Gründer und CEO von Modoplus, der KI-Suchmaschine für Grundstücke mit Entwicklungspotenzial. Vor der Gründung von Modoplus hat er sowohl auf Unternehmensseite, als auch auf selbstständiger Basis großvolumige Projektentwicklungen verantwortet und erfolgreich realisiert. Julian ist Architekt, hält einen Master in Urban Design von der HafenCity Universität in Hamburg und einen Abschluss in Immobilienökonomie von der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Oestrich-Winkel.