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Wie die Immobilienwirtschaft zur Energiewende beitragen kann

Benjamin Miedaner

Der Immobiliensektor hat einen wesentlichen Anteil am Energieverbrauch – Ein Großteil entfällt dabei auf den Altbestand an Immobilien. Hohe Renditen und Vollvermietung in Ballungsräumen schafften in der Vergangenheit nur einen geringen Anreiz, energetische Maßnahmen durchzuführen. Die Energiekrise zwingt Eigentümer jetzt zum kurzfristigen Handeln – Durch neue digitale Lösungen und Automatisierung können schnelle Einspareffekte erzielt werden.

Noch vor einem Jahr war die Energiewelt in Ordnung. Stabile Energiepreise und die Aussicht auf Nordstream 2 bereiteten wenig Anlass zur Sorge. Die sanfte Wende in der Energieversorgung steht seit langem auf der politischen Agenda. Regenerative, nicht-fossile Energieträger sollten Ablöse schaffen, aber eben auf lange Sicht. Die EU-Taxonomie sollte diesen Wandel einleiten, in ihr werden die Ziele der Industrie und Wirtschaft hinsichtlich einer grüneren Zukunft definiert.

Ein Jahr später hat der Energiepreismonitor die Covid Statistik in der Tagespresse abgelöst. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat dem Markt einen Preisschock verpasst. Unser Energiekonsum ist eng verbunden mit dem Klimawandel, und neuerdings auch mit der Finanzierung des russischen Angriffskrieges. Die Angst vor einem wirtschaftlichen Kollaps und der Explosion der Nebenkosten bereitet unserer Gesellschaft Sorgen. Die zügige Umsetzung von Energiesparmaßnahmen ist oberstes Gebot.

35% des Energieverbrauchs entfallen auf den Immobiliensektor

In Deutschland gibt es 21 Millionen Gebäude. Die Energiekosten für Wärme, Beleuchtung und Kühlung lassen sich die Nutzer jährlich 73 Milliarden Euro kosten. Etwa 63% dieser Gebäude sind älter als 40 Jahre und bieten ein erhebliches Energieeinsparpotential. Laut der Deutschen Energieagentur (dena) benötigt eines dieser Gebäude bis zu fünf Mal mehr Energie als Gebäude, die in den letzten 20 Jahren entstanden sind.

Die Bundesregierung hat aus diesem Grund ambitionierte Ziele ausgegeben: Bis 2030 sollen der CO2Ausstoß im Gebäudesektor auf 67 Millionen Tonnen CO2 sinken, eine Reduktion um 143 Millionen Tonnen gegenüber 1990. Im Jahr 2021 betrugen die Emissionen im Gebäudebereich laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) rund 115 Millionen Tonnen CO2 Äquivalent.

Damit ist klar, dass zur Einhaltung der Klimaziele diese Immobilien im besonderen Fokus stehen. Dabei müssten aufgrund der aktuellen Situation alle verfügbaren Mittel genutzt werden, die einen schnellen Einspareffekt erzielen.

Die Versorgungsfrage im Immobiliensektor

Den Gedanken an eine kalte Wohnung im Winter und Warmwasser nur zu bestimmten Zeiten erinnern nur noch wenige in Deutschland. Im Immobiliensektor treffen die Interessen von Mietern, Eigentümern und Investoren aufeinander. Zwar ist die Gefahr, dass die Wohnung kalt bleibt, relativ gering in Deutschland, was auch mit der Priorisierung nach der europäischen Notfallverordnung zum Nachteil der Industrie und Wirtschaft zu tun hat, aber wie geht man damit um, wenn die Großmutter bei kleiner Rente eine Erhöhung der Abschlagszahlung von 170 Euro auf 835 Euro pro Monat erhält, wie neulich auf Social-Media-Kanälen gepostet?

Im Schnitt erwartet der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) einen Anstieg der warmen Betriebskosten von 1.908 Euro im Jahr 2021 auf einen Korridor von 2.376 bis 5.712 Euro im Jahr 2022. Eine Linderung ist nicht in Sicht, die geopolitischen Ereignisse weisen eher auf eine Kontinuität beim Anstieg der Energiekosten hin. Wer heute einen neuen Vertrag zur Gasversorgung abschließt, muss mit einem kWh Preis von 28,2 Cent rechnen. Eine Steigerung von 470 % gegenüber dem Vorjahr. Vermieter und Investoren befürchten Zahlungsausfälle bei den jährlichen Nebenkostenabrechnungen, Mieter den Verlust der Wohnung, sollten sie diese nicht begleichen können.

Neben den explodierenden Energiepreisen spielt die EU-Taxonomie eine zunehmend wichtige Rolle. Die Immobilienbrache ist gut beraten, sich eng mit dem Thema auseinanderzusetzen. Denn wenn eine Immobilie die ESG-Kriterien nicht erfüllt, läuft sie mittelfristig Gefahr, erheblich an Wert zu verlieren. In der Branche will man vermeiden, „stranded assets“ in einem Portfolio zu akkumulieren – ein Begriff, der Immobilien bezeichnet, die einen unerwarteten, plötzlichen Wertverlust erleiden. Ganz praktisch bedeutet dies, dass eine Vermietung wegen der hohen Nebenkosten am Markt nicht attraktiv ist, sprich die Miete nicht konkurrenzfähig ist. Oder dass die Politik eingreift und die Eigentümer zu energetischen Maßnahmen verpflichtet, bei denen die Kosten den Wert der Immobilie übersteigen. Auf einem Kongress des Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA) fasst ein Investor zusammen: „Wir kaufen ausschließlich ESG-konforme Liegenschaften zu, sonst werden wir innerhalb der kommenden zehn Jahre die Mittel bereitstellen müssen, um diese Liegenschaft ESG-konform zu gestalten.“

Im Fokus der Immobilienbrache muss eine kurzfristige Lösung zur Einsparung von Energie gefunden werden. Neben dem Verbraucher kann auf systemischer Seite mit einfachen Mitteln Energie eingespart werden. Sparsames Nutzerverhalten stellt keine energetische Maßnahme dar. Auch der Anreiz, Energie zu sparen, fehlt an den Stellen, wenn die Energiekosten von staatlicher Stelle getragen werden oder die Bewohner ihre Verhaltensweise nicht ändern.

Durch eine intelligente Regelung der wasserführenden Systeme in Gebäuden kann aber schon erhebliches Potential erzielt werden. Die Wärme- und Trinkwasserversorgung erfolgen in Gebäuden nach dem Push Prinzip. Es wird so viel Wärme in das Gebäude eingebracht, bis auch die hydraulisch ungünstigste Stelle ausreichend versorgt ist.

Im Fokus der Immobilienbrache muss eine kurzfristige Lösung zur Einsparung von Energie gefunden werden. Neben dem Verbraucher kann auf systemischer Seite mit einfachen Mitteln Energie eingespart werden. Sparsames Nutzerverhalten stellt keine energetische Maßnahme dar.

Im Fokus der Immobilienbrache muss eine kurzfristige Lösung zur Einsparung von Energie gefunden werden. Neben dem Verbraucher kann auf systemischer Seite mit einfachen Mitteln Energie eingespart werden. Sparsames Nutzerverhalten stellt keine energetische Maßnahme dar.

Kurzfristige Mittel zur Effizienzsteigerung ohne Komfortverlust

Für die Vielzahl an Altbeständen im Immobiliensektor und die notwendigen aufwendigen energetischen Maßnahmen wie Fassadendämmung fehlen Handwerker, Geld und Zeit. Gerade durch den Preisschock am Energiemarkt wird der Fokus daher auf die kurzfristigen Möglichkeiten gelenkt. Heute stehen neue Technologien zur Verfügung, die geringinvestive und kurzfristige Einsparungen erzielen.

In einem Positionspapier des ZIA wird ein Einsparpotential von 65 Millionen Tonnen CO2 identifiziert. Ein Gros entfällt dabei auf die vorgeschlagene Maßnahme „Optimierung der Energieverbräuche im Gebäudebestand“. Im Detail schreibt der ZIA weiter: „… Einsparung bei Wohngebäuden durch monatliche Information und niedriginvestive Maßnahmen, wie z.B. den hydraulischen Abgleich.“

Abbildung: https://www.zia-deutschland.de/wp-content/uploads/2021/05/Positionspapier_Immobilienwirtschaft_Energie1.pdf

Die Daten basieren auf Erfahrungswerten von Mitgliedsunternehmen des ZIA und Erfahrungen des BMWK, die demzufolge bei diesen Maßnahmen die stärksten Effekte erwarten. Wegen der zügigen Umsetzbarkeit und dem minimalinvasiven Eingriff bieten diese Maßnahmen eine ideale Lösung, um schnell Erfolge zu erzielen.

Wie genau könnte also ein Lösungsansatz aussehen, der einen dynamischen hydraulischen Abgleich in der Wärmeversorgung und der Trinkwasseranlage herstellt?

An allen relevanten Stellen im Leitungssystem einer Immobilie werden Sensoren verbaut, die die Temperaturen und den Volumenstrom messen. Diese Daten werden kontinuierlich an eine Cloud-Lösung übermittelt. Die Cloud-Lösung schafft einen Digitalen Zwilling der Heizungs- und Trinkwasseranlage. Dieser wird kontinuierlich mit Echtzeitdaten aktualisiert.

Die Regelung der wasserführenden Systeme erfolgt über Aktoren, die in den Zirkulationsleitungen verbaut sind und den hydraulischen Abgleich über Kugelventile automatisiert herstellen. Hydraulische ungünstige Stellen erhalten so eine bessere Versorgung bei einem geringeren Eintrag in das Gebäude. Die Einstellung der Kugelventile erfolgt über eine Künstliche Intelligenz, die kontinuierlich die Daten interpretiert, zugesetzte Leitungen durchspült, den Volumenstrom in hydraulisch schlecht abgeglichenen Leitungsteilen verbessert und alarmiert, sofern ein externer Eingriff notwendig ist.

In diesem Zusammenhang sprechen Experten von einem dynamischen hydraulischen Abgleich, eben weil er kontinuierlich und automatisiert nachjustiert wird. Die regelmäßige Prüfung vor Ort entfällt damit.

Zudem lernt die Künstliche Intelligenz das Verhalten der Bewohner einer Liegenschaft kennen, nutzt Prognosedaten wie die Wettervorhersage anstatt der gängigen Wetterfühler und stellt warmes Wasser und benötigte Wärme zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort und in der richtigen Menge zur Verfügung. All das geschieht über die Anbindung der einzelnen Komponenten eines Trink- und Heizungswassersystems an den Digitalen Zwilling.

Dieses System macht Heizungs- und Trinkwassernetze transparent. Die Einsparung der Energie wird durch den Wechsel von Push zu Pull erzeugt und das Gebäude bekommt nur die Energie zugeführt, die es auch verbrauchen kann. Neben der Reduktion des Energiebedarfs ergeben sich positive Effekte auf die Hygiene und die Instandhaltungskosten.

Legionellen werden durch den kontinuierlichen Wasserfluss und die Einhaltung der Temperaturen in ihrem Wachstum behindert. Der Digitale Zwilling erlaubt einen Einblick in den Zustand des Leitungssystems und bietet einen Hinweis auf zugesetzte Leitungen oder Leckagen. Diese können dann sukzessive getauscht werden, ohne aufwendige Rundumerneuerung.

Wann eine Wärmepumpe lohnt

Der Ruf nach der Wärmepumpe wird immer lauter, aber gerade im Altbestand sind die Gegebenheiten oft nicht geschaffen, um den Einsatz einer Wärmepumpe zu rechtfertigen. Um eine Wärmepumpe effizient betreiben zu können, muss sie einen effizienten COP Wert (Coefficient of Performance) aufweisen. Dieser Wert ist umso besser, je niedriger die Temperaturen im Vorlauf sind. Als Daumenregel ist eine Wärmepumpe nur dann effizient, wenn sie einen COP-Wert von 3 oder größer hat.

Die digitale Regelung durch Sensoren und Aktoren macht dies möglich und erlaubt dadurch den Einbau einer Ultrafiltrationsanlage bei der Trinkwasseranlage. Diese filtert Legionellen und Keime aus dem Wasser, bevor sie in das Trinkwassersystem des Gebäudes gelangen und ermöglicht in Verbindung mit einer hydraulisch abgeglichen Trinkwasseranlagen wiederum die nötige Reduzierung der Vorlauftemperaturen.

Die intelligente dynamische Regelung auf der Heizseite sieht vor, dass das Temperaturdelta, also die Differenz aus Vorlauf und Rücklauftemperatur, maximiert wird. Das bedeutet, dass die Energie auch an das Gebäude abgegeben wird und nicht ungenutzt zurückläuft. In einer zweiten Phase kann dieses Temperaturdelta abgesenkt und somit ein weiterer Schritt Richtung Wärmepumpe gemacht werden. Die Entscheidung über den nächsten Schritt wird dabei immer auf der vorliegenden Datenbasis gefällt. So kann die Dimensionierung der Leistung einer Wärmepumpe noch besser geplant werden.

So wird bereits mit einfachen Maßnahmen ein erheblicher Effekt erzielt. Die Digitalisierung und Automatisierung kann nach Schätzungen der PAUL Tech AG 15 % und mehr an Energieeinsparungen erzielen. Damit leistet der hydraulische Abgleich, der Digitale Zwilling und die datenbasierte energetische Sanierung einen großen Anteil an der Effizienzsteigerung im Immobiliensektor und unterstützt maßgeblich dabei, die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen und den Preisschock am Energiemarkt für alle Beteiligten zu lindern.

Über den Autor

Benjamin Miedaner

Key Account Management PAUL Tech AG

Benjamin Miedaner ist seit 2021 bei der PAUL Tech AG, dem Experten der Digitalisierung der Gebäudetechnik, tätig. In früheren Rollen bei der Schenker AG und als Geschäftsführer der KGS GmbH beschäftigte er sich mit der Digitalisierung in der Logistikbranche. Als Hausbesitzer und Vermieter interessiert er sich auch privat für geringinvestive Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz. Bei Anmerkungen, Fragen und Kommentare zu dem Artikel können Sie Benjamin Miedaner gerne kontaktieren: benjamin.miedaner@paul.tech