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12.04.2022

Einfach die Rechnung elektronisch empfangen, und schon ist alles gut…oder?

Marcus Jeschke

Über Fallstricke der Digitalisierung anhand des elektronischen Rechnungsaustauschs

Es klang zunächst ganz einfach: Die Wasserbetriebe, die Müllentsorgung, die Energieversorger und zahlreiche andere Lieferanten der Hausverwaltung senden zukünftig ihre betriebskostenrelevanten Rechnungen und Bescheide nicht mehr auf Papierbasis, sondern elektronisch als XML. Damit könnten die Belege einfach ins ERP importiert werden, die Verarbeitung der Daten und die Zuordnung zu den Wohneinheiten liefe dann vollautomatisch, und man erhielte in kürzester Zeit die Betriebskostenabrechnungen für die Mieter*innen ohne Aufwand für die eigene Belegschaft. Die Digitalisierung des Rechnungseingangs würde zur Entlastung und zu einem schnelleren Cash-Flow führen. Alles schien perfekt!

Der Traum Digitalisierung wird zum Albtraum

Leider wurden bei diesem Projekt ein paar wichtige Dinge übersehen: Es gab in der Hausverwaltung zwar einen digitalen Rechnungsempfang, aber keinen elektronischen Freigabeworkflow. So wurden alle digitalen Rechnungen am Ende ausgedruckt, in Umlaufmappen zur Freigabe herumgereicht und von der Buchhaltung manuell verarbeitet. Die Rechnungsprüfung dauerte jetzt noch länger. Zusätzlich gab es auf den empfangenen Rechnungen keine einheitliche Angabe der Wirtschaftseinheiten, so dass diese mühsam anhand der Adressangaben zugeordnet werden mussten. Außerdem wurden die Handwerker, die Grünflächenpflege und der Hausmeisterdienst bei der Umstellung vergessen – also praktisch alle mittelständischen Unternehmen, die keine teure Software zur Erzeugung von elektronischen Rechnungen einsetzen (können). Und am schlimmsten: Zu den digitalen Rechnungen fehlte ein PDF, so dass man den Mieter*innen keine Belege für die Betriebskosten vorlegen konnte. Mit anderen Worten: Die Betriebskostenabrechnung war juristisch gesehen ungültig!

Der Mensch und die Prozesse stehen im Mittelpunkt der Digitalisierung

Dieses fiktive Beispiel haben wir bei unseren Projektrealisierungen in der Form natürlich noch nie erlebt – die einzelnen genannten Punkte gehören jedoch zu unserer täglichen Arbeit: allzu häufig werden bei der Einführung neuer, digitaler Technologien und Plattformen die Menschen und die bisherigen Arbeitsabläufe schlicht übersehen oder falsch eingeschätzt.

Natürlich bereitet die Digitalisierung den Boden, um Prozesse zu vereinfachen und neu zu denken: In unserem Beispielprojekt gibt es großartige Möglichkeiten für eine digitale Rechnungsprüfung und -freigabe, die mittels digitaler Unterschriften, automatischer Prüfwürfel oder Zufallsprüfungen diese Aufgabe leichter, schneller und einfacher zu verfolgen macht. Und auch Themen wie Reporting oder Controlling sind durch den Empfang elektronischer Rechnungen umfangreicher zu gestalten. Sie müssen aber bei der Planung und Realisierung mit bedacht und bei der Umsetzung so ausgeprägt werden, dass die Belegschaft mitgenommen wird und die neuen Möglichkeiten auch annimmt.

Die Menschen müssen in die Digitalisierung mitgenommen werden

Ein anderes großes Thema beim Rechnungsempfang ist tatsächlich, dass so viele Lieferanten wie möglich Rechnungen auch in elektronsicher Form liefern – das bedeutet für uns immer, mit einem strukturiertem Datensatz UND einem PDF.

Große Unternehmen wie Energieversorger, Entsorgungsunternehmen oder die oben genannten Wasserbetriebe haben dabei in der Regel selbst große ERP-Systeme im Einsatz und entsprechend keine Schwierigkeiten, Datensätze z.B. per Webservice an Plattformen wie SmartPath zu übergeben. Bei Hausmeisterdiensten, Handwerkern etc. sieht es erfahrungsgemäß anders aus.

Rechnungsempfang als digitaler Trichter

Hier ist es in unseren Projekten enorm wichtig, verschiedene Empfangsoptionen zu bieten und diese für den Rechnungsempfänger zu bündeln: So kann ein Lieferant beispielsweise seine Rechnung in einem Standardformat wie ZUGFeRD per E-Mail an ein bestimmtes Postfach versenden. Oder er nutzt ein Webportal, in dem er ein PDF-Dokument hochladen und ein paar Rechnungsinformationen manuell ergänzen kann. Zusammen mit Rechnungen, die per SFTP oder Webservice übertragen werden, werden diese in ein Format transformiert und dem Empfänger zur Verfügung gestellt. Es entsteht ein digitaler Trichter, der den Lieferanten unserer Hausverwaltung zahlreiche Möglichkeiten des Rechnungsversandes anbietet, die Hausverwaltung selbst aber nur ein Format und eine Schnittstelle bedienen muss. So kann sie sicherstellen, dass so viele Lieferanten wie möglich den digitalen Weg wählen.

Häufig werden bei der Einführung neuer, digitaler Technologien und Plattformen die Menschen und die bisherigen Arbeitsabläufe schlicht übersehen oder falsch eingeschätzt.

Häufig werden bei der Einführung neuer, digitaler Technologien und Plattformen die Menschen und die bisherigen Arbeitsabläufe schlicht übersehen oder falsch eingeschätzt.

Auf den Inhalt kommt es an

Zuletzt wollen wir noch einen Blick auf die Datenqualität und die Inhalte der Rechnungen werfen: Damit die Zuordnungen der Daten sicher und einfach funktionieren kann, sind vor allem zwei Dinge essenziell: Zum einen müssen Lieferant und Empfänger genau vereinbaren, welche Zuordnungsmerkmale genutzt werden sollen, zum anderen muss dies ausgiebig getestet werden. Ein einfaches Beispiel: Die Hausverwaltung nutzt zur Zuordnung sogenannte „WE“-Nummern, eine Liegenschaft hat also z.B. die Nummer „WE 007“. Der Lieferant übermittelt wie vereinbart diese WE-Nummer. In den Tests stellt sich jedoch heraus, dass die Daten im ERP der Verwaltung nur verarbeitet werden können, wenn die WE-Nummer ohne Präfix übertragen wird, also nur mit „007“. Dies wurde frühzeitig in den Tests festgestellt, was viel Aufwand in der Datenbereinigung erspart hat.

Mit Plan zur digitalen Wunschlösung

Wir haben nun gezeigt, dass es zahlreiche Fallstricke bei der Einführung des elektronischen Rechnungsempfangs gibt. Sollte man das Ganze also besser sein lassen?

Natürlich nicht, denn ein digitaler Rechnungseingang erleichtert die Arbeitsabläufe und Folgeprozesse und sorgt zum Beispiel für eine schnellere und genauere Betriebskostenabrechnung bei deutlichem geringerem Aufwand. Gelingt es, die oben stehenden Herausforderungen zu beachten, steht einer digitalen Lösung nichts mehr im Weg.

Über den Autor

Marcus Jeschke

Geschäftsführer von CapeVision GmbH

Marcus Jeschke ist seit 2018 Geschäftsführer und Mitgesellschafter der CapeVision GmbH, einem Plattformanbieter für die Transformation und den Austausch von elektronischen Daten wie z.B. elektronische Rechnungen u.a. für die Immobilienwirtschaft.

Jeschke schloss zunächst eine kaufmännische Ausbildung bei Axel Springer ab und studierte anschließend Mathematik, Philosophie und Geschichte in Berlin. In die Digitalisierungsbranche kam er 2000 als Autodidakt und arbeitete zunächst als Programmierer von Datenbank-Applikationen, Spezialist für Reportings und Projektleiter bei einem Unternehmen für Kundenbindungssysteme. Später wechselte er in die Energiebranche zu einem Beratungsunternehmen, wo er bis zum Prokuristen aufstieg. Neben der Geschäftsführung von CapeVision gründete er zusätzlich 2021 zusammen mit seinem Schulfreund Hold die WEG-Kommunikationsplattform SmartParley.